Ihr wollt Genrevielfalt, ihr bekommt Genrevielfalt. Und eine der schillerndsten Facetten des diesjährigen Vorentscheids liefern Lord of the Lost. Die Hamburger Band existiert seit 2007 und bietet bei ihren Auftritten nicht nur was für die Ohren, denn das Auge hört bekanntlich mit. Wer sich durch die Clips und Auftritte der Gruppe klickt stellt fest, dass extravagante Outfits und Inszenierungen durchaus gern gesehene Mittel sind, um die nicht minder vielschichte Musik visuell zu untermauern. Ich selbst bin kein Dark-Rock oder Metal Experte. Kenne mich auch in der Glam-Rock Szene nicht aus und doch kannte ich Lord of the Lost bereits bevor sie als Teilnehmer von „Unser Lied für Liverpool“ verkündet wurden und das, weil sie 2023 mit einem Nummer 1 Album einläuteten. Damit setzt die Band ihre erfolgreiche Karriere fort. Somit bedienen Lord of the Lost nicht nur die Rufe nach Genrevielfalt, sie setzen auch einen Hacken hinter die immer lauter werdende Bitte der Fans, endlich etablierte und erfolgreiche Acts im Vorentscheid antreten zu lassen, die Live-Erfahrung haben. Diese konnte die Band nicht nur bei Festivals wie Wacken sammeln. Im vergangen Jahr war die Band gemeinsam mit Iron Maiden auf Welttour.
Und obwohl Lord of the Lost auf zahlreiche Erfolge zurückblicken kann, sind sie wahnsinnig bescheiden und bodenständig. Davon durfte ich mich im Interview mit Chris Harms, dem Leadsänger der Band, überzeugen. Er verriet mir, warum er sich nicht vorstellen kann, den Vorentscheid zu gewinnen, was uns bei „Unser Lied für Liverpool“ erwartet und welche Gemeinsamkeiten Lord of the Lost mit Electirc Callboy und Lordi teilen.
Lieber Chris, danke, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst. Ihr seid Teil des deutschen Vorentscheids „Unser Lied für Liverpool“, wie kam es dazu?
Wir haben uns in den letzten Jahren immer wieder beworben. Aber da passten wir bisher offenkundig nicht wirklich ins Konzept. Letztes Jahr waren wir sogar in der engen Auswahl, bis kurz vor der TV-Show, wurden dann aber nicht gewählt, genau wie Electric Callboy, da ein anderer Fokus für 2022 gewünscht war. Wir haben diese Absage aber nicht öffentlich gemacht, weil es dazu keinen Grund gab. Sowas führt nur zu Unzufriedenheit und Gemecker, davon gibt es im Netz bereits genug, so etwas möchten wir nicht grundlos füttern. Deshalb dachten wir einfach nur leise „Schade, dann ein anderes Mal“, und haben uns wieder in unsere Arbeit gestürzt.
Absolut, die ESC-Bubble kann davon tatsächlich ein Lied singen. Dieses Mal ist Rock beim Vorentscheid aber glücklicherweise gewollt. Dennoch gilt der ESC insbesondere in Rockkreisen als eher uncoole Kommerzveranstaltung, was erwiderst du, wenn eure Fans eure Teilnahme kritisieren?
Egal, was man macht, man kann es nicht jedem Recht machen. Deshalb machen wir es uns grundsätzlich nur uns selbst recht. Und wenn wir zu jederzeit hinter dem stehen, was wir tun, und lieben, was wir tun, dann sind wir zu jedem Zeitpunkt authentisch, unverbogen und echt. Oder eben „real“ und „true“, um hier mal in Rock- und Metalsprache zu sprechen. Aber die Musikerpolizei der Subgenres verhaftet dennoch im Geiste gern immer alles, was „Kommerz“ und „Mainstream“ ist. Was soll man darauf entgegnen? Nun ja, wenn man auch nur eine CD verkauft, dann ist man „Kommerz“. Und wir werden uns nicht dafür rechtfertigen, von unserem Job leben können zu wollen. Und wenn die eigene Musik auf einmal von mehr Leuten gehört wird, als zuvor, ist man irgendwann „Mainstream“ – selbst wenn die Musik genau so klingt wie zuvor. Durch diesen Stempel ändert sich ja nicht auf einmal der Sound des eigenen Musikkatalogs. Long Story short: Irgendwer meckert immer. Wenn nicht die einen, dann die anderen. Die letzten Jahre meckerten alle, dass es keine Vielfalt beim ESC gibt. Die gleichen Leute meckern jetzt, dass wir für genau diese Vielfalt Sorgen. All diese Negativität sagt jedoch nur etwas über deren Verfasser aus, nicht über uns oder den ESC.
Das ist so wahr! Und letztendlich gibt es ja deutlich mehr Fans, die eure Teilnahme feiern. Viele ESC Fans ziehen sogar schon Parallelen zwischen euch und Lordi, die ja 2006 den Contest gewinnen konnten. Wie empfindest du den Vergleich?
Ach echt? Davon habe ich noch nichts mitbekommen. Lordi, großartige Band, tolle Menschen, wundervolle Kollegen! 2013 waren wir gemeinsam auf Tour. Gerade neulich kreuzten sich unsere Wege wieder zufällig, auf Tour, für einen Tag, in Prag. Wir können mit dem Vergleich sehr gut leben. Eigentlich können wir mit jedem Vergleich ziemlich gut leben, auch wenn wir nicht jeden Vergleich verstehen. Menschen brauchen häufig diese Vergleiche, um Neues für sich einordnen zu können, das ist völlig ok. Bei genauerem Hinsehen und Hinhören haben Lordi und wir allerdings wenig gemein – bis auf die Tatsache, dass Rockmusik irgendwie ein Teil unserer beider Genre-Mixe ist.
Hast du den ESC zuvor verfolgt und wenn ja, welche Erinnerungen verbindest du mit dem Event?
Der ESC, oder eben damals der Grand Prix, gehörte zu der typischen Auswahl der Familien-TV-Events: Grand Prix, Wetten dass?, Fussball WM, Wimbledon, immer mal wieder Formel 1… Der ESC war natürlich für mich, als Musiker, der bereits seit er fünf ist klassisch Cello spielt, sehr besonders, da es um Musik geht. Ich kann mich natürlich nicht in der Masse der Kindheitserinnerungen an alle Details erinnern. Aber das Gefühl der Aufregung, des Mitfieberns, aber insbesondere des Überwindens von menschengemachten Grenzen, durch die Universal-Sprache der Musik, hat mich immer fasziniert. und das tut es bis heute. Ich habe selten mit einem einzelnen Act mitgefiebert, und Patriotismus liegt mir fern, ergo musste es nicht zwangsläufig der deutsche Act sein. Aber dieses Zusammenkommen und vor allem die unglaublichen Umsetzungen der Shows, die waren mein Leben lang inspirierend für mich. Nicht ohne Grund ist der ESC die Speerspitze aller Musik-Show-Veranstaltungen.
Konntet ihr eure Konkurrenz schon persönlich kennenlernen und wenn ja, wie liefen die Treffen ab?
Vorweg: ich wehre mich nach wie vor gegen das Wort „Konkurrenz“. Und es gibt für mich auch keine Verlierer, es gibt nur eben den einen Act, der am Ende am meisten Menschen, und der Jury, gefallen hat – und somit weiterkommt. Klingt ein wenig nach dem Mini-Playback-Show-Motto „wir sind alle Sieger, auch wenn einer nur gewinnen kann“, aber das ist tatsächlich mein Credo, was den ESC angeht. Aber zur Frage: Ich kenne die Band hinter Patty Gurdy, die aus Teilen von Subway to Sally besteht, langjährige Freunde von mir. Alle anderen habe ich bisher nur über Social Media gesehen und mit dem ein oder anderen Artist auch schon schriftlich kommuniziert, maßgeblich in Form von gegenseitigen Respektsbekundungen in Kommentarfeldern. That’s the spirit! Ich wünsche allen, dass sie weiterkommen, das meine ich ganz genau so! Auch wenn das natürlich nicht geht. Aber alle haben dafür gearbeitet, mit all ihrer Liebe.
Du hast so recht! Dieses Wort wird sofort aus meinem Wortschatz gestrichen. Obgleich auch ich gerne alle Acts auf einmal nach Liverpool schicken würde, wird es am Ende nur einer schaffen. Stell dir vor, Barbara hat gerade verkündet, dass ihr dieser eine Act seid, der für Deutschland nach Liverpool fahren wird, wie würdest du reagieren?
Ich kann mir das nicht vorstellen. Und ich halte es auch für ausgeschlossen, dass wir weiterkommen. Ich kann es mir nicht vorstellen, da ich mir das selbst nicht erlaube; es fühlt sich falsch an, vermessen, zu von sich selbst überzeugt. Ich gehe mit großem Respekt und mit Demut in dieser Veranstaltung, auch wenn ich natürlich sehr stolz darauf bin, ein Teil dessen sein zu dürfen. Mir aber im Detail diese Dinge auszumalen, bekomme ich mit meinem Mindset nicht hin. Ich bin kein Schach-Stratege, der alle eventuellen Züge versucht, vorherzusehen – außer, wenn ich Schach spiele. Ich versuche nur, zu jeder Zeit, in genau diesem Moment, jetzt, hier, das Richtige zu tun.
Auch wenn es keine Strategie gibt, gibt es ja sicherlich ein Konzept. Wie sieht dieses aus? Wie stellt ihr euch euren Auftritt im März vor? Was erwartet uns?
Natürlich möchte ich jetzt nicht vorwegnehmen, was wir genau für die Show planen, es soll noch ein wenig überraschend bleiben. Aber eines vielleicht, obwohl das ja eigentlich klar ist: die visuelle Grundrichtung orientiert sich stark an unserem „Blood & Glitter“ Musikvideo, das ja wie für den ESC gemacht aussieht. Was witzig ist, denn als wir das Video planten, und im Mai letzten Jahres drehten, konnte wir nicht mal im Ansatz erahnen, dass wir dieses Jahr dabei sind. Und so fügte sich dann eins zum anderen, wie von magischer Hand.
Dann fehlt nur noch, dass die magische Hand das letzte Puzzleteil einfügt und wir euch im Mai auf der großen ESC Bühne sehen dürfen. Doch zuvor viel Erfolg und vor allem Viel Spaß beim deutschen Vorentscheid.
Wer sich vom oben erwähnten Musikvideo überzeugen möchte, kann das im Folgenden tun. Wer sich hingegen ein Bild von der Live-Qualität der Band machen möchte, kann Lord of the Lost live erleben:
UK-Tour:
23. September 2023 – London
24. September 2023 – Bristol
26. September 2023 – Southampton
27. September 2023 – Nottingham
28. September 2023 – Wolverhampton
29. September 2023 – Manchester
Festivals
29. April 2023 – Summer Breeze Brasil (Brasilien)
26. Mai 2023 – Wave Gotik Treffen (Deutschland)
08. Juni 2023 – Mystic Festival (Polen)
10. Juni 2023 – Nova Rock (Österreich)
18. Juni 2023 – Hellfest (Frankreich)
08. Juli 2023 – Rockharz Festival (Deutschland)
14. Juli 2023 – Masters of Rock (CZ)
20. Juli 2023 – John Smith Rock Festival (Finnland)
30. Juli 2023 – Amphi Festival (Deutschland)
04. August 2023 – Wacken Open Air (Deutschland)
14. Oktober 2023 – MS Rheinenergie / Unter Schwarzer Flagge (Deutschland)
17. November 2023 – Haus Auensee / Gothic meets Klassik (Deutschland)
18. November 2023 – Gewandhaus / Gothic meets Klassik (Deutschland)