Gestern war es endlich so weit. Der NDR verkündete die acht Acts, die sicher im deutschen Vorentscheid antreten werden. Der 9. Beitrag wird im Rahmen einer Online-Castingshow durch Conchita Wurst und Rea Garvey ermittelt und in einer Livesendung im NDR am 8. Februar gekürt.
Bei den acht gesetzten Acts wird leider deutlich, dass der Mut und die Genrevielfalt des letzten Jahres mit dem schwachen Abschneiden Lord of the Losts erneut über Bord geworfen wurden.
Back to the NDR Wohlfühlzone.
Balladen, Radiopop, Solisten, alles nett, nichts haut einen vom Hocker.
Auch wenn ein Genremix für meinen Geschmack gar nicht nötig ist, wenn die Beiträge groß, authentisch und gut gemacht sind, wäre es dennoch klug gewesen, wenn der NDR den eingeschlagenen Weg weitergegangen wäre, da man so die Fans beschwichtigt hätte. Es wäre ein Signal gewesen, um zu zeigen: Wir erkennen eure Anliegen und arbeiten an uns. Selbst wenn uns diese Genrevielfalt dann Ballermannbums wie Ikke Hüftgold beschert.
Aber zurück zum „Deutschen Finale“. Obgleich die Songauswahl wieder im Radiobrei versinkt, ist es mehr als erfreulich, dass es zwei ehemalige Teilnehmer erneut versuchen.
Zum einen wirft Ryk seinen Hut abermals in den Ring, nachdem er 2018 bereits beim Vorentscheid teilnahm. Die größte Überraschung war jedoch die Teilnahme des ESC Vertreters von 2004, Max Mutzke. Aber auch Marie Reim war eine Überrauschen, scheint sie doch in der Schlagerwelt keine Unbekannte zu sein. Zumindest ihre Eltern sind deutschlandweit bekannt. Mathias Reims „Verdammt ich lieb dich“ ist ein Meilenstein der deutschen Musiklandschaft und Michelle ist nicht erst seit ihrer ESC Teilnahme im Jahr 2001 medial in Erscheinung getreten. Drei der acht Beiträge haben also einen ESC Bezug, was dem Stellenwert des Vorentscheids guttut.
Nachdem ich alle Songs (außer einen) nun mehrfach gehört habe, durfte ich feststellen, dass es zwei Lieder sicher in meine Playlist schaffen werden, weil sie genau meinen Geschmack treffen. Ob die Songs ESC tauglich sind, kann ich auf Basis der Studioversionen noch nicht so genau beurteilen. Aber arbeiten wir uns chronologisch durch die Songs des Vorentscheids:
Galant – Katze
Galant ist das einzige Duo im Rennen um das Ticket nach Malmö und einer von zwei deutschsprachigen Beiträgen. Das Lied fängt gut an, die Stimme der Sängerin gepaart mit den Elektropop Einflüssen und der Prise verrückten Punk-Attitüde erinnern mich persönlich an einen Mix aus der frühen Mia Zeit und Laing. Zwei ehemalige ESC Bewerber die ich sehr liebe. So fühlte ich mich zu Beginn des Songs auch sofort abgeholt. Ich wusste zwar, dass das Duo ähnlich wie Mia 2004 keine hohen Erfolgschancen haben wird, aber dass ihre Teilnahme eine Bereicherung für den Vorentscheid sein wird. Leider hielt das Lied dann nicht, was der Anfang versprach. Der Refrain ist zu flach, insbesondere textlich. Um mit Mia mithalten zu können fehlt es an Rotzigkeit und Mut und um mit Laing zu konkurrieren fehlt es dem Text an Tiefgang, Wortwitz und Humor. Ich erkenne, wo der Beitrag hinwill, aber das Ziel hat Galant leider noch nicht erreicht.
Isaak – Always on the run
Isaak Duerian trat 2011 bei X Faktor an. Im Jahr 2021 gewann er die digitale Castingshow „Show Your Talent“ und das zurecht! Denn Isaak hat eine hervorragende Stimme. Rauchig, warm, mit Volumen und einer sehr spannenden Stimmfarbe. Sein Song geht ins Ohr und könnte auch Live funktionieren. Sicher ist, dass ein Sänger seiner Klasse Jurypunkte bekommen wird! Einer der beiden Songs, die ich garantiert noch lange hören werde, aber ob er sich gegen den Rest durchsetzen kann, wage ich zu bezweifeln, sind die Namen der Mitstreiter (d, m, w) vermutlich doch zu groß.
Und auch wenn ich den Beitrag sehr mag, finde ich trotzdem ein kleines „aber“. Der Song ist mir auf die Länge von drei Minuten zu wiederholend. Da wäre noch mehr gegangen.
Leona – Undream You
Leona ist eine Newcomerin, die mit 20 Jahren zu den jüngsten Teilnehmerinnen des Wettbewerbs zählt. Bisher hat sie sich und ihre Musik überwiegend über ihre sozialen Netzwerke präsentiert, was sich durch die Liveshow im Ersten nun ändern könnte. Ihr „Undream You“ ist eigentlich ganz schön, vor allem, weil ihre Stimme sehr sanft und zerbrechlich den reduzierten und schnörkellosen Song trägt. Schön, aber leider auch etwas langweilig. Jedoch kann bei einer Show mit 26 Songs ein sanfter, zurückgenommener Song eben durch die Unaufgeregtheit für Aufmerksamkeit sorgen. Dafür muss das Gesamtpaket aber stimmen. Die Inszenierung muss den Nerv des Publikums treffen. Der Startplatz darf nicht in einer Balladenrunde liegen und die Künstlerin muss das Gefühl transportieren können. So konnte Wiktorija 2020 mit „Tears getting sober“ und einem tollen Bühnenbild punkten. Ieva Zasimauskaité berührte das Publikum 2018 mit „When we`re old“ und einer sanften und emotionalen Bühnenshow. Wohingegen Paenda im Folgejahr an ihre (Achtung Wortwitz) Limits kam.
Bodine Monet – Tears Like Rain
Bodine Monet stammt aus der Niederlande, ihre Eltern aus Kanada. Beste Voraussetzung, um für Deutschland an den Start gehen zu können. Ich finde es nicht schlimm, wenn man nicht den Pass des Landes besitzt, für das man antritt, aber einen Bezug sollte man dann schon haben. Würde sie hier leben oder hätte sie hier viele Erfolge verzeichnet oder oder oder, aber bisher siehts mau aus. Eine wirkliche Verbindung habe ich noch nicht herausfinden können. Bei kleinen Ländern wie San Marino oder Luxemburg verstehe ich es ja noch, dass man nicht jedes Jahr aus dem eigenen Fundus schöpfen kann, aber für Deutschland sollte das Einkaufen unbekannter Künstler (d, m, w) aus anderen Ländern nicht nötig sein. Sie scheint eine starke Stimme zu haben und der Song erinnert stilistisch ein Stückweit an Patty Gurdys letztjährigen Beitrag. Auch bei „Tears Like Rain“ gefiel mir der Anfang, aber ab Einsetzen des Refrains war ich leider raus.
Max Mutzke – Forever Strong
Max will es noch einmal wissen! Genau 20 Jahre nach seinem ESC Auftritt und genau zehn Jahre nach seiner BuViSoCo Teilnahme stellt er sich erneut einem Wettbewerb. Max ist die beste Wahl, wenn wir auf Nummer „Sicher“ gehen wollen. Ein erfahrener und großartiger Sänger, ein charmanter Profi, der dem Druck mehr als gewachsen sein wird. Ein beliebter Künstler in der ESC Bubble und ein angesehener Musiker. All das sorgt dafür, dass der Vorentscheid deutlich aufgewertet wird. Jurypunkte wird es ganz sicher geben und Wiederkehrer stauben häufig auch einige Publikumsstimmen ab. Für einen Top10 Platz ist der Song vermutlich zu schwach, aber im unteren Drittel würde ein Max Mutzke auch nicht landen.
Marie Reim – Naiv
Bereits eingangs erwähnte ich, dass Marie vor allem durch ihre Eltern Bekanntheit erlangte. In der Schlagerszene ist sie jedoch scheinbar kein unbeschriebenes Blatt. Da ich diese Art von Musik abgrundtief hasse, und ich noch nie in meinem Leben eine Flori- oder Giovanni- Show gesehen habe, ich keine Helene-Songs und auch keine Egli-Lieder kenne, kann ich auch keine fundierte Aussage über Marie Reims Karriere treffen. Für meine Abneigung kann Marie Reim aber nichts. Ihre Stimme scheint genauso stark zu sein, wie die ihrer Mutter. Text, Melodie und Stimme passen gut zusammen und spiegeln die sehr erfolgreiche Pop-Schlagerszene wider. Wer Pop-Schlager mag, wird „Naiv“ lieben. Für mich ist es absolut nichts, daher habe ich das Lied auch nur im dritten Anlauf bis zum Ende hören können und glaube, dass ich ihn kein zweites Mal vollständig hören möchte, bis zur Show in Berlin. Dennoch ist „Naiv“ der einzige Beitrag, der komplett aus der Reihe fällt und in Europa wirklich punkten könnte.
NinetyNine – Love on a Budget
NinetyNine ist 1999 geboren und 1,99 Meter groß. Na, erkennt ihr einen Zusammenhang? Dieser Beitrag klingt sehr international und könnte auch von einem britischen oder amerikanischen Künstler stammen, was ich völlig ohne Wertung feststellen möchte. In den Versen bin ich sehr begeistert von der Komposition und seiner Stimme, leider nervt mich der Refrain doch sehr. Insgesamt definitiv ein guter Beitrag, aber für mich persönlich nicht stark genug, um nach Malmö zu fahren.
Ryk – Oh Boy
Oh Boy, Ryk ist zurück oder sollte ich sagen „zuryk“? 2018 begeisterte er mich schon mit seinem Liveauftritt. Er am Klavier sitzend, eine Ballerina darauf und um ihn herum tanzend. Ryk ist gesanglich eine sichere Bank, ein Künstler, der sich bestimmt auch dieses Jahr wieder eine starke Inszenierung überlegen wird und das braucht der Song auch. „Oh Boy“ ist speziell im Aufbau. Hall, Echos und Nebengeräusche, gespickt mit einem dramatischen Spannungsaufbau, machen aus der Ballade ein episches Musikstück. Vielleicht zu sperrig für den ESC, aber mit einer spannenden Bühnenshow kann aus dem ESC Aufritt eine Kunstinstallation werden. Oh Boy, enttäusch uns nicht!
Wie findet ihr das bisherige Lineup? Wer ist euer Favorit?
Ich stimme dir im Wesentlichen zu. Glaube aber, dass Max mit dieser lahmen Ballade doch eher auf den 20er Plätzen landen würde … Bin für Leona!
Glaubst du nicht, dass die Juroren Max ins Mittelfeld pushen. Ein musikalischer und sympathischer Wiederkehrer, dass ist doch der Traum eines jeden ESC-Juroren. Hust…
Bis auf den Katzensong kann mich leider kein einziger VE Beitrag überzeugen. Mit „zurück in die NDR Komfortzone“ triffst du den Nagel auf den Kopf. Alles keine wirklich schlechten Songs, alle safe, alle ziemlich beige und etwas langweilig.
Glaubt man den Fanpolls, gewinnt ja Ryk: meine Horrorvorstellung, denn ich kann mit seinem suizidalen Gegreine so gar nichts anfangen.
Und so setze ich meine Hoffnung auf die Wildcard.
„…suizidalen Gegreine…“, ich lache mehr, als ich sollte! Ich denke, dass das mit einer guten Inszenierung schon funktionieren könnte. Bondine kommt international ja auch sehr gut an, aber in Deutschland redet kaum jemand über ihren Song. Auch wenn ich Pop-Schlager verachte, denke ich, dass Marie Reim die beste Wahl wäre (stand jetzt). Ich erwarte nämlich ehrlich gesagt nicht viel von der Wildecard, würde mich aber freuen, wenn Conchi und Rae mich Lügen strafen würden.