Ikke vs. NDR – More Drama baby!

Ihr habt es sicherlich mitbekommen, Ikke und der NDR liefern sich einen Schlagabtausch, den wir zuletzt bei Aly Ryan ertragen mussten. Long story short: Ikke, der eindeutig und mit nicht geringem Abstand gegen Lord of the Lost (LotL) verloren hat scheint ein richtig schlechter Verlierer zu sein. Aber sortieren wir die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge.

Peter Urban, der dieses Jahr zum letzten Mal den Eurovision Song Contest kommentieren wird, ist nicht zuletzt deswegen gerade ein gefragter Interviewpartner. Dieser führt er aber nicht als Mitarbeiter des NDR, sondern als Privatperson. Wieweit sich das voneinander trennen lässt, sei dahingestellt, aber er agiert hierbei nun mal nicht im Namen der Fernsehanstalt. So äußerte er sich auch unverblümt zum deutschen Vorentscheid. Beispielsweise schilderte er, dass er Ballermann Musik nicht mag und er daher froh ist, dass LotL Deutschland in Liverpool vertreten und somit auch seinen letzten ESC abrunden werden. Dies Äußerungen nutzten die Schreiberlinge u.a. dazu, es mit plakativen Positionierungen und provokativen Formulierungen auf die Spitze zu Treiben. So legten sie Peter Urban die Worte „Tumb teutonisch“ in den Mund und präsentierten Ihn als Ikke-Hater.

Das wiederum führte dazu, dass Ikke wütend mit den Füßen aufstampfte und, wie es sich für einen echten Trashy gehört, erst mal eine Insta-Story postete, in der er in einem Rundumschlag alle anschuldigte, ohne Klarheiten zu schaffen, stattdessen baute er medienwirksam einen Cliffhänger ein und ließ uns mit der Auflösung seiner Anschuldigungen bis nach Ostern warten.

Dann kam ein unangenehm langes Statement, das den Titel „Viel Lärm um nichts“ verdient hätte. Viel reden, wenig sagen. Nichts Neues wurde verkündet. Zwischenzeitlich äußerten sich beide nochmal in Podcasts zum Thema. Peter bei ESC Update, der sich selbst die Schuld darangab, dass er die Pressetexte freigab, ohne sie richtig geprüft zu haben und Ikke bei irgendeinem Typen, der sich schon bei der aller ersten Frage so lächerlich machte, dass ich mir den Rest nicht mehr angetan habe. Er begrüßte Ikke in etwa mit der Aussage „Wie kann es sein, dass du uns nicht vertrittst, obwohl du doch die meisten Punkte bekommen hast?“

Hat er nicht, so gar nicht, nicht mal ein bisschen. Aber dazu später mehr.

 

Da sich die Ereignisse überschnitten, und eine verletzte Diva wie Ikke natürlich nicht einsehen kann, dass er verloren hat, verkündete weitere ominöse Enthüllungen, die scheinbar darauf fußen, dass der NDR die Zahlen und harten Fakten unter Verschluss hält. Irgendwie süß, wie er damit ein Voting zum deutschen Vorentscheid des ESC auf ein ganz neues Level hebt.

Nun hat der NDR diese aber veröffentlicht und da wird dann halt nochmal deutlich, dass Biermukke-Fans halt kein Geld für ihre Idole ausgeben wollen. Denn nur in dem viel kritisierten Online-Voting konnte er punkten. Beim Televoting wurde er LotL nicht im Ansatz gefährlich. Abgerundet wurde das Ganze dann durch ein Statement des NDR das unterm Strich aber auch nur besagt, keine Fehler gemacht zu haben. Wer die Äußerungen im Wortlaut lesen möchte, kann dies hier tun.

Aber da ich eine Mathematik-Allergie habe und mit Zahlen so wenig anfangen kann, wie mit schlechten Verlieren vom Ballermann, habe ich die genaue Analyse der Ergebnisse in vertrauenswürde Hände gegeben. Im aller ersten Gastbeitrag auf Nicolasvegas.eu stürzt sich Eurovision Passion in eine Zahlen Passion. Einige von euch kennen Eurovision Passion sicherlich vom Blog „eurovisionforpassion“ oder von Twitter.

Wer ist Eurovision Passion?

Ich heiße Eurovision Passion und freue mich sehr auf diesem Blog von NicolasVegas mitarbeiten zu dürfen. Ich selbst habe eine Zeit lang einen Blog mit etwa 250 Posts im Jahr geführt. Dessen Inhalt umfasst im Wesentlichen Dinge, die bereits durch andere Webseiten in der deutschsprachigen ESC-Fans-Szene gedeckt sind. So verbinde ich lieber meine Kräfte sinnvoll ergänzend mit NicolasVegas.

Warum wurde für das Publikum ein Punkt weniger vergeben als für die Jury? Wurde Ikke Hüftgold doch benachteiligt?

Mein erster Beitrag hier ist spontan dadurch entstanden, dass ich eine Passion für den ESC selbst, aber auch – wie die meisten ESC-Fans – eine Passion für Statistiken habe. Das hat Molly Sterling für uns ESC-Fans im Namen Irlands bereits 2015 wunderbar besungen ????. So hat mich eine vermeintliche Kleinigkeit an der Stimmen- und Punktetabelle von „Unser Lied für Liverpool“ nicht lockergelassen. Obwohl von einer 50-50 Gewichtung von Jury und Publikum die Rede ist, wurden für das Publikum nur 367 Punkte und für die Jury 368 Punkte vergeben. Da stellt sich die Frage wie der NDR dazu gekommen ist. Publikumsstimmen in Punkte umzurechnen ist nämlich nicht so einfach wie es auf den ersten Blick aussieht und kann aufgrund mathematischer Phänomene leider nicht ganz fair erfolgen. Aber fangen wir am Anfang an.

Ich studiere Politikwissenschaft und Soziologie und habe in meinem Studium auch schon wissenschaftlich über den ESC geschrieben – allerdings ganz anders als „Dr. Eurovision“ Irving Wolther vom NDR ????. Für Wahlsysteme habe ich ein besonderes Interesse und das Schöne daran ist; vieles davon ist wie beim ESC. Das Umrechnen der Anruf- und SMS-Stimmen in Punkte erfolgt bei einem Vorentscheid nach den gleichen Prinzipien wie bei politischen Wahlen, wenn die Stimmen der Parteien in Sitze im Parlament umgerechnet werden. Wie bereits erwähnt kann das leider nie fair für alle erfolgen. So stelle ich mir bei jedem ESC-Vorentscheid mit Anteiligen Publikumspunkten die Frage, wie die Stimmen umgerechnet werden, denn wenn es knapp wird, kann die Wahl des mathematischen Verfahrens darüber entscheiden wer den Vorentscheid gewinnt! Entsprechend interessant ist was der NDR da gemacht hat – und vor allem wie es dazu gekommen ist, dass das Publikum einen Punkt weniger vergeben hat als die Jury. Wo ist dieser Punkt verloren gegangen? Wer hätte ihn erhalten? Wurde etwa doch jemand benachteiligt? Etwa Ikke Hüftgold?

In der Forschung haben sich drei verschiedene Varianten für diese Berechnung als sinnvoll herausgestellt. Alle haben ihre Vor- und Nachteile. Ich persönlich beurteile das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers als das fairste, weil hier im Durchschnitt die Anteile der erhaltenen Punkte (oder Sitze) eher den Stimmenanteilen entsprechen, als das bei anderen Berechnungsverfahren der Fall ist. Eine Garantie auf Fairness gibt es trotzdem nicht. Woran das liegt, erkläre ich hier aus Platzgründen nicht. Dazu gibt es schon genügend Beiträge im Internet. Schauen wir uns stattdessen an was der NDR gemacht hat.

Ich brauchte eine Weile des Herumrechnens („Playing with Numbers“), um das Punkteergebnis nachvollziehen zu können. Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob der NDR genau das getan hat, was ich hier darstelle, aber ich kann mir kein anderes Vorgehen erklären, das zu diesem Ergebnis kommt. Der NDR hat wohl das Verfahren nach Hare-Niemeyer gewählt, aber nicht ganz zu Ende gerechnet. Bei diesem Vorgehen werden zunächst die Stimmenanteile der Songs in Anteile an den 368 zu vergebenen Punkten umgerechnet. Dabei kommt es zu diesem Ergebnis (Hinweis: die Punkte werden zunächst alle abgerundet):

Sänger*in

Stimmenanteil

Punkteanteil

Erhaltene Punkte (Zwischenergebnis)

Lord of the Lost

39,78%

146,39

146

Ikke Hüftgold

27,56%

101,45

101

Will Church

5,59%

20,61

20

Trong

5,27%

19,36

19

Lonely Spring

8,19%

30,16

30

Anica Russo

2,27%

8,32

8

Rene Miller

2,14%

7,84

7

Patty Gurdy

9,20%

33,86

33

Gesamt

100%

368

364

 

Aufmerksamen Lesenden fällt auf, dass so nur 364 Punkte vergeben werden, obwohl eigentlich 368 Punkte zur Verfügung stehen. Die 4 Restpunkte werden bei diesem Berechnungsverfahren an die vier Songs mit der höchsten Nachkommastelle vergeben. Das sind Patty Grudy (0,86) (= 34 Punkte), Rene Miller (0,84) (= 8 Punkte) und Will Church (0,61) (= 21 Punkte). Der letzte Punkt würde eigentlich an Ikke Hüftgold (0,45) (= 101 Punkte) gehen. Doch Ikke hat hinter der Nachkommastelle weniger als einen halben Punkt, also weniger als 0,5. Eigentlich müsste also abgerundet werden, damit die Verteilung der Punkte der Verteilung der Stimmen so nah wie möglich kommt. Das ist der Nachteil bei dem Berechnungsverfahren nach Hare-Niemeyer. Je nachdem wie viel mathematisches Glück dabei ist, erhalten ein oder sogar mehrere Songs mehr Punkte, als es ihrem Stimmenanteil eigentlich entsprechen würde. Dieser Effekt kann genauso gut auch andersherum passieren, also ein oder mehrere Songs erhalten weniger Punkte als es (gerundet) eigentlich ihrem Stimmenanteil entsprechen würde. Um diese Unfairness zu vermeiden, gibt es andere Berechnungsverfahren, die wiederum andere Fairness-Probleme mit ähnlichem Ergebnis haben.

Der NDR wollte wohl die Vorteile des Verfahrens nach Hare-Niemeyer nutzen und gleichzeitig auf die Nachteile verzichten. Das wurde anscheinend dadurch „erreicht“, dass nicht (wie es eigentlich gedacht ist) mit dem Prinzip der Restpunkte und Nachkommastellen gearbeitet wurde, sondern indem die Punktzahl ganz einfach gerundet (also bei Ikke Hüftgold abgerundet) wurde. Dafür wurde offensichtlich in Kauf genommen, dass das Publikum weniger oder mehr Punkte vergeben kann als die Jury. Ist das fair? Darüber lässt sich sicherlich streiten. Ich habe dazu eine klare Meinung. Es gibt (drei) etablierte Verfahren, mit denen die Punkteverteilungen berechnet werden können. Für jedes dieser Verfahren gibt es Pro- und Contra-Argumente, aber es ist mathematisch eindeutig, dass dies die fairsten Verfahren ausmacht. Der Jury im Zweifelsfall bis zu mehreren Punkten mehr oder weniger Gewicht zu geben als dem Publikum finde ich nicht in Ordnung, insbesondere, wenn wir die vermeintliche Unfairness überhaupt erst in der zweiten Nachkommastelle der hohen Punktzahlen erkennen können. Einem etablierten und breit akzeptierten Verfahren zu folgen, halte ich für weitaus fairer, als sich ein eigenes Verfahren zu überlegen, welches häufig dem 50-50 Prinzip widersprechen wird, obwohl so viel damit geworben wurde, dass Jury und Publikum genau gleich viel des Ergebnisses entscheiden sollen.

Für mich ist klar, dass Ikke Hüftgold hier benachteiligt wurde. Hätte Ikke diesen verlorenen Punkt erhalten, wäre er nicht Punktgleich, sondern in Punkten vor Will Church gewesen. Das hätte am Gesamtergebnis vom Vorentscheid nichts allzu Nennenswertes geändert, wenn es aber knapp werden sollte, hätte das entscheidend sein können, wer beim ESC für Deutschland singen darf. Anstelle des NDRs würde ich deshalb unbedingt ein anderes Umrechnungsverfahren verwenden, am besten das nach Sainte-Laguë/Schepers. Ich möchte aber auch deutlich sagen, dass es sich hier um mathematischen Zufall handelt, dass diese Benachteiligung Ikke und ausschließlich Ikke getroffen hat. Die Wahrscheinlichkeit dafür, wer von diesem etwas eigenartigen System des NDRs profitiert oder verliert, ist für alle gleich. Dass der NDR absichtlich jemanden benachteiligt hätte, ist also eindeutig falsch!

Ganz nach dem Motto „Give a little Love was all my intent and I was playing with Numbers“ habe ich für Liebhabende der Statistik noch ein paar interessante Tabellen angefügt, die zeigen wie das Ergebnis des Vorentscheids ohne Online-Voting bzw. bei ausschließlichem Online-Voting, bzw. wenn Online- und Liveshow-Voting jeweils 25% der Punkte wären, ausgesehen hätte. Dabei zeigt sich zum Beispiel: ohne das Online-Voting wäre Ikke Hüftgold 3. und Will Church 2. geworden. Für mich sieht es danach aus, dass das Online-Voting vor allem den Effekt hat, dass im Vorfeld bekanntere Künstler*innen einen noch größeren Vorteil haben als das auch ohne Vorab-Online-Voting bereits der Fall ist. Auf der ESC-Bühne zählt aber nicht wie bekannt die Leute in Deutschland sind, sondern wie sehr Europa das gesungene Lied im live Auftritt mag. Deshalb scheint mir das Vorab-Online-Voting ein interessanter Versuch gewesen zu sein, der aber nicht wiederholt werden sollte.

Sänger*in

Stimmen ohne Online-Voting

Stimmenanteil ohne Online-Voting

Publikums-punkte ohne Online-Voting

Jury-punkte

Platzierung (Veränderung)/ Punkte (Veränderung)

Lord of the Lost

148.197

44,64%

164

43

Erster (=)/207 Punkte (+18)

Ikke Hüftgold

72.741

21,91%

81

10

Dritter (-1)/91 Punkte (-20)

Will Church

26.719

8,05%

30

90

Zweiter (+1)/120 Punkte (+9)

Trong

19.621

5,91%

22

52

Vierter (=)/74 Punkte (+3)

Lonely Spring

20.633

6,22%

23

40

Sechster (-2)/63 Punkte (-7)

Anica Russo

9.574

2,88%

11

57

Fünfter (+1)/68 Punkte (+3)

Rene Miller

6.676

2,01%

7

54

Siebter (=)/61 Punkte (-1)

Patty Gurdy

27.791

8,37%

31

22

Achter (=)/53 Punkte (-3)

Gesamt

331.952

100%

369

368

737 Punkte (+2)

 

Sänger*in

Online-Stimmen

Online-Stimmenanteil

Publikums-punkte nur mit Online-Voting

Jury-punkte

Platzierung (Veränderung)/ Punkte (Veränderung)

Lord of the Lost

66.178

31,98%

118

43

Erster (=)/161 Punkte (-28)

Ikke Hüftgold

75.821

36,64%

135

10

Zweiter (=)/145 Punkte (+34)

Will Church

3.457

1,67%

6

90

Dritter (=)/96 Punkte (-15)

Trong

8.736

4,22%

16

52

Fünfter (-1)/68 Punkte (-3)

Lonely Spring

23.539

11,37%

42

40

Vierter (+1)/82 Punkte (+12)

Anica Russo

2.608

1,26%

5

57

Siebter (-1)/62 Punkte (-3)

Rene Miller

4.809

2,32%

9

54

Sechster (+1)/63 Punkte (+1)

Patty Gurdy

21.797

10,53%

39

22

Achter (=)/61 Punkte (+5)

Gesamt

206.945

100%

370

368

738 Punkte (+3)

 

 

Sänger*in

Calls DE+SMS DE

Calls & SMS Punkte

Online-Stimmen

Online-Punkte

Publikums-punkte gesamt

Jury-punkte

Platzierung (Veränderung)/ Punkte (Veränderung)

Lord of the Lost

148.197

82

66.178

59

141

43

Erster (=)/184 Punkte (-5)

Ikke Hüftgold

72.741

40

75.821

67

107

10

Zweiter (=)/117 Punkte (+6)

Will Church

26.719

15

3.457

3

18

90

Dritter (=)/108 Punkte (-3)

Trong

19.621

11

8.736

8

19

52

Fünfter (-1)/71 Punkte (=)

Lonely Spring

20.633

11

23.539

21

32

40

Vierter (+1)/72 Punkte (+2)

Anica Russo

9.574

5

2.608

2

7

57

Sechster (=)/64 Punkte (-1)

Rene Miller

6.676

4

4.809

4

8

54

Siebter (=)/62 Punkte (=)

Patty Gurdy

27.791

15

21.797

19

34

22

Achter (=)/56 Punkte (=)

Gesamt

331.952

183

206.945

183

366

368

734 Punkte (-1)

 

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