Meine musikalische Audienz beim König hatte Höhen und Tiefen, aber fangen wir von vorne an.
Als Frankreich die Lieder und Künstler für den diesjährigen Vorentscheid Destination Eurovision veröffentlicht hat, dachte ich nur „Wow, Frankreich will es dieses Jahr wirklich wissen.“ Ich war der Meinung, dass Frankreich endlich wieder nach der Krone greifen möchte und rechnete zu diesem Zeitpunkt noch nicht damit, dass das vielleicht die erste Vorahnung sein könnte, dass sie einen „König“ ins Rennen schicken. Fast alle Lieder hatten wirklich tolle Elemente, manche konnten mich sogar auf voller Länge überzeugen. Mit freudiger Erwartung saß ich also vorm TV, als es in die erste Runde ging. Und wieder hieß es: hohe Erwartungen sind dafür da, enttäuscht zu werden. Was war da los?! Am Ende des Abends feierte ich jeden getroffenen Ton, aber leider gab es nicht viel zu feiern. Die zweite Runde lief dann stimmlich besser, aber die Enttäuschung der ersten Runde blieb. Im großen Finale konnten sich dann die „besten“ Sängerinnen und Sänger erneut beweisen. Mein persönlicher Favorit war Silvàn Areg, der zwar auch nicht der größte Sänger ist, den das Land jemals gesehen hat, aber sein Lied „Le petit Nicolas“ (wooop wopp: Nicolas), das später aus rechtlichen Gründen (denn der kleine Nicolas fand das gar nicht witzig) in „Allez leur dire“ umgennant wurde, machte mir richtig Spaß. Es war modern und zeitgleich hatte es schöne klassische französische Elemente. Darüber hinaus war seine Show wirklich unterhaltsam. Silvan in Comicland… Aber natürlich war mir klar, dass das nicht zum Sieg reichen würde. Viel mehr rechnete ich mit Seemone und ihrem sehr emotionalen Beitrag „Tous les deux“. Sie hat perfekt gesungen, der Song war wunderschön, ihr reduzierter Auftritt passte perfekt zum Lied, sie war in internationalen Fankreisen extrem beleibt. Ich dachte wirklich, dass all das ausreichen würde. Zumal nicht nur das fanzösische Publikum alleine die Wahl treffen durfte (hier war Bilal von Anfang an klarerer Fanliebling), sondern auch eine Fachjury Punkte vergab. Auch Chimène, (die einzige der ersten Runde, die alle Töne traf) hätte ich gerne in Tel Aviv, mit ihrem Lied „Là-haut“, auf der großen Bühne gesehen. Der ehemalige Casting-Star ist sehr populär in Frankreich und hätte also, dank toller Stimme und vieler Fans, durchaus auch den Sieg davontragen könne. Aber nein, der König hat den Thron zu keiner Sekunde verlassen. Das Publikum wählte ihn mit einem beeindruckenden Vorsprung auf den ersten Platz.
Jurypunkte im Überblick:
Seemone | 94 |
Silvàn Areg | 76 |
Emmanuel Moire | 64 |
Chimène Badi | 56 |
Bilal Hassani | 50 |
The Divaz | 44 |
Aysat | 26 |
Doutson | 10 |
Publikumswertung im Überblick:
Bilal Hassani | 150 |
Chimène Badi | 63 |
Seemone | 62 |
Emmanuel Moire | 51 |
The Divaz | 48 |
Silvàn Areg | 26 |
Aysat | 12 |
Doutson | 8 |
Wer ist dieser Fan-Favorit?
Bilal hatte seinen ersten medialen Auftritt bei „TheVoice Kids“. Dort sang er u. a. Conchitas Siegerlied „Rise like a Phoenix“. Danach veröffentlichte er viele Videos auf YouTube und konnte sich somit seine Fangemeinde aufbauen. Sein Lied „Roi“ wurde u. a. von den letztjährigen Vertretern Frankreichs, Madame Monsieur komponiert, die über die sozialen Netzwerke auch ordentlich Werbung für ihn machten. Das Lied wurde ihm auf den Leib geschrieben. Ein junger Mann mit Perücke, der sich in keine Schublade stecken lässt, der anders ist und sein Leben lebt, wie er es für richtig hält. Soweit so gut. Eine tolle Persönlichkeit mit einem Text, der mich wirklich anspricht und einer tollen Kombination von französischen und englischen Zeilen, die sich ineinander Fügen, als wären die Sprachen nur dafür gemacht. Musikalisch eine wirklich gute Nummer, mit einem großartigen Konzept und einem auffälligen und polarisierendem Künstler. Eigentlich eine gute Mischung, so dachte ich im Vorfeld. Ich hatte also mein erstes Hoch. „Das wäre nicht die schlechteste Wahl,“ dachte ich, nachdem ich die veröffentlichte Audiodatei hörte. Wenn da nicht der Live-Auftritt gewesen wäre. Den hohen, langen, lauten und starken Tönen, die so wichtig beim Aufbau dieser Nummer sind, konnte Bilal stimmlich leider nicht gerecht werden. Seine Stimme ist noch nicht so weit, um ein komplexes Lied wie „Roi“ zu präsentieren. Von der Höhe, stürzte ich mich also in die Tiefe. „Nein, das wäre wahrlich keine gute Wahl“, war mein Fazit nach der ersten Runde. Nun wird er trotzdem nach Tel Aviv fahren.
Der König hat Eier
Er stellte sich nach seiner Nominierung seinen Kritikern, wehrte sich gegen Mobbing, reiste nach Russland, um dort bei der Bekanntgabe des russischen Vertreters aufzutreten. Ja, der König hat Eier! Er beeindruckt mich sehr und ich freue mich für ihn, befürchte aber, dass seine Platzierung hinter seinen Erwartungen zurückbleiben wird, sollte er sich nicht noch stimmlich steigern können. Ich drücke Frankreich trotzdem die Daumen, aber der Zweifel bleibt.