Jaaaa, ok, ich habe ganz vielleicht gemeckert. Ja, vielleicht auch schon, bevor wir etwas wussten. Ja und ganz vielleicht war ich anti und habe den NDR für jahrelanges Versagen und sträfliche Unlust kritisiert und angeprangert und ja, ok ich entschuldige mich hiermit ganz offiziell!
Denn wow, was ein LineUp!
Ich hätte es nicht gedacht, aber bei mir hört ihrs zuerst: Deutschland hat den stärksten Vorentscheid des diesjährigen ESC! Zumindest, wenn man einzig und allein die Acts und Songs als Maßstab heranzieht. Denn der NDR und Babsi werden sicherlich ihr Möglichstes tun, um die Show trotz musikalischer Vielfalt und hoher Qualität zu einer Lachnummer zu machen.
Und ich hoffe so sehr, dass ich mich nach dem 3. März erneut entschuldigen muss, weil ich vorauseilende Kritik äußerte. Los NDR, straft mich erneut Lügen, ich bitte darum!
Aber bis wir dazu mehr sagen können, feiern wir erst einmal „unsere“ Acts:
Vorab: Ich kannte die meisten Künstler (d, m, w) zuvor nicht, die Lieder sind alle komplett neu für mich und ich habe bisher jeden nur ein einziges Mal gehört. Darauf stütze ich nun meine Bewertung, denn sowohl beim Vorentscheid als auch beim Eurovision Finale im Mai werden die meisten Zuschauer (d, m, w) ebenso jungfräulich an die Nummern herantreten und ihr Urteil abgeben.
TRONG – Dare To Be Different
Den ersten Act, den ich mir zu Gemüte führte war TRONG, der mich schon mit den ersten Worten seines Songs zum Schmunzeln brachte, als er uns unterstellte, dass wir seinen Namen nicht aussprechen können. Damit hat er leider recht. Die klischeehaften asiatischen Klänge, das perfektionistische boygroupartige Gezappel, die nach Unschuld kreischenden weißen Outfits, das damit einhergehende „kleine Mädchen werden mich lieben“ Image, gepaart mit der wirklich angenehmen Stimme lassen aus „Dare To Be Different“ einen großartigen Beitrag werden, den ich mir sehr gut live beim VE vorstellen kann. Dieser Kinder-Pop-Kram ist nicht mein Fall, aber käme er aus Korea wäre er ein K-Pop-Star, käme er aus Amerika würde er Hallen füllen. TRONG hats darauf. Und dass wir uns auch live keine Sorgen machen müssen, ist anzunehmen. Da er Vietnam Idol im Jahr 2015 gewonnen hat, wird er das schon meistern. Dort kennt man ihn bereits als den „German Hot Boy“, vielleicht kennt ihn so bald ganz Europa, wer weiß?
Patty Gurdy – Melodies Of Hope
Patty Gurdy bringt mit „Melodies Of Hope“ leicht mittelalterlich angehauchte Klänge in den Vorentscheid mit ein. Ihre klare Stimme passt perfekt zum Song und hallo?! Sie spielt Drehleier, wenn das nicht mal Pluspunkte bringt, weiß ichs auch nicht. Bis eben wusste ich noch nicht, wie sehr ich eine schreiende Drehleierspielerin in meinem Leben brauche. Auch wenn der Song mich nicht mitreißt, er auch nicht meinen Geschmack trifft und ich ihn tatsächlich nicht in Liverpool sehe, weil die Konkurrenz zu stark ist, ist das was Patty Gurdy macht eine Bereicherung für den deutschen Vorentscheid. Ihre Art von Musik begeistert Massen ohne Mainstream zu sein. Das ist es, was einen vielfältigen Vorentscheid ausmacht.
Will Church – Hold on
Weiter gehts mit Will Church, der eigentliche Klassiker des deutschen Vorentscheids, stammt er doch aus dem The Voice of Germany Universum. „Hold on“ ist ein eher ruhiger Gitarrensong, der im Refrain durch Wills Stimme das besondere Etwas bekommt. Er schraubt seine Stimme in die Höhe und klingt dabei trotzdem extrem unaufgeregt. Erinnert mich vom Konzept des Songs an Duncan Laurence und siehe da, bei den blind Auditions von The Voice sang er „Arcade“. Wenn das nicht mal ein gutes Zeichen ist, weiß ichs auch nicht. Insgesamt ist dieser Act der vielleicht der am wenigsten überraschende, aber keiner hat je das Genre Radio-Pop oder Singer Songwriter kritisiert. Solche Acts sind gern gesehen, aber eben nicht nur. „Hold on“ trifft meinen Musikgeschmack zu 100 Prozent und dennoch habe ich einen anderen Favoriten.
Lonely Spring – Misfits
Nämlich: Lonely Spring! „Misfits“ gibt mir Sum41 und Offsprings Vibes und verkörpert dabei alles, was ich in meiner Jugend geliebt habe! Kenn ihr das, wenn ihr einfach ein gutes Gefühl habt, wenn ihr was von früher seht oder hört. Dieses Gefühl der Zeit, in der alles noch so leicht war, die einem zurückgebracht wird. Genau das fühle ich bei „Misfits“. Als wäre der Song aus der Schublade eines 2000er Musikproduzenten gefischt worden. Mit all den Elementen, die ich damals schon so sehr mochte. Die Geschwindigkeitswechsel, die provokative Wortwahl, das Geklatsche in Kombination mit den Chören, dieser Außenseiter-Stimmung. Alles alt, aber um es mit Lonely Springs Worten zu sagen: „so what?!“
Frida Gold – Alle Frauen in mir sind müde
Als ich den nun folgenden Namen in der Liste der Teilnehmer (d, m, w) las, hüpfte mein Herz, weil ich wusste, dass diese Band nicht enttäuschen wird. Frida Gold muss ich gar nicht erst hören, um zu wissen, dass das ein Gewinn für den deutschen Vorentscheid ist. Die Stimme ist einfach fantastisch: Die Band ist erfahren und spielte schon vor großem Publikum. Es würde mich massiv wundern, wenn hier etwas schiefgehen würde. Frida Gold ist einer der tollsten Acts die dieses Land in den letzten Jahren hervorbrachte. Auch wenn wir mit women improvement Songs bisher nicht so gut abgeschnitten haben, Grüße gehen an dieser Stelle raus an S!sters, „Alle Frauen in mir sind müde“ hat schon eine ganz andere Qualität. Der Song und die Band transportieren eine authentische Botschaft. Ich glaube jedes Wort.
Anica Russo – Once Upon A Dream
Anica Russo hat definitiv eine spannende Stimme und einen Song, der nicht ganz so griffig ist, wie die anderen. Erst plätschert er recht lange vor sich hin und erinnert mit der musikalischen Inszenierung an eine Circus-Traurige-Clown Nummer, die dann plötzlich sehr stark und kraftvoll wird. Der „Knall“ kommt mir leider etwas zu spät, da könnte der ein oder andere schon abschweifen, aber ab 1:20 ist man dann wieder wach und voll bei der Sache. Und wie schön sieht sie bitte in ihrem Video aus? Die roten Haare, die dank des Grüns im Hintergrund noch mehr zur Geltung kommen. Die gesamte Inszenierung, wirklich ästhetisch und einfach nur schön! Nach einem Mal hören würde ich den Song zwar weiter unten in meinem Ranking ansiedeln, aber er hat Potential dazu, ein Fan-Liebling in der Bubble zu werden. Außerdem überzeugen solche Lieder meist erst so richtig, wenn sie gut auf der Bühne inszeniert werden.
Lord of the Lost – Blood and Glitter
Lord of the Lost haben mit „Blood and Glitter“ den perfekten Titel für eine RuPaul Dragrace Folge gefunden. Alleine dafür mag ich den Beitrag ja schon! Aber so billig braucht mich der Act gar nicht ködern, denn die Jungs scheinen echt was zu können. Selten findet man Bands, deren Frontmann sowohl beim Schreien als auch beim Singen wirklich gut klingt. Hier funktioniert aber beides sehr gut. Ich hoffe, dass das live auch so sein wird. Wenn Lord oft he Lost wirklich von der Leine gelassen werden, sie vielleicht dem Song noch mehr Bumms geben und einfach noch eine Nummer mehr drüber sind, als eh schon, dann wird das ganz groß und dann haben wir hier vermutlich unsere Vertreter für Liverpool und dann lege ich mich fest: Das wird punkten!
Der Refrain „blood and glitter, sweet and bitter“ ist mir zu billig, aber in seiner Schlichtheit doch sehr einprägsam. Aber diese PiuuPiuu Soundeffekte passen nicht und nerven mich und doch bin ich glücklich, auf so hohem Niveau meckern zu können.
René Miller – Concrete Heart
Den Abschluss der bereits feststehenden Acts macht René Miller. Der 28-jährige war bisher eigentlich eher als Songschreiber für andere tätig, so z.B. für Zoe Wees, aber stimmlich muss er sich nicht verstecken. „Concrete Heart“ handelt von einer toxischen Beziehung und erinnert in seiner internationalklingenden Mainstreamigkeit an Nico Santos, insbesondere im Refrain. Auch wenn ich René Miller großartig finde, den Song schon in meine Playlist gepackt habe und ich mir vorstellen könnte, dass er im Radio rauf und runter läuft, würde ich andere Acts für Liverpool bevorzugen. Aber er reiht sich perfekt in dieses hochklassige LineUp ein.
TikTok -Voting macht den Anfang
Hinzu kommen sechs weitere Beiträge, die im TikTok-Voting eine Wildcard für die Show in Köln ergattern wollen. Acts, die es noch nicht direkt in die Hauptshow geschafft haben, die dennoch Potential haben. Ein Handreichen an die Electric Callboy Fans, die nach einer Wildcard schrien und was hats uns gebracht? Einen Ikke Hüftgold, der mit seiner großen Reichweite und seiner albernen Nummer vermutlich das Ticket für Köln lösen wird. Furchtbar! Wenn man wenigstens kreativ mit Musik und Sprache umgeht, wie Helge Schneider oder wenn man was Neues und Überraschendes auf die Bühne bringt, wie Guildo Horn oder wenn man einfach total witzig ist in der Darbietung ist, wie Stefan Raab, dann kann eine alberne Spaßnummer richtig gut sein, aber albern alleine reicht nicht aus, um aus Scheiße Gold zu machen. Ich befürchte wirklich, dass wir den besten Vorentscheid der Saison haben werden und mit Ikke dann den schlechtesten Beitrag seit Jahrzehnten hinschicken werden.
Neben diesem Schwachsinn tritt eine weitere Künstlerin mit großem Namen an. Leslie Clio liebe ich ja schon alleine dafür, dass sie Leslie Clio ist, aber leider muss ich sagen, dass ihr Song nicht der stärkste ist, den sie jemals veröffentlicht hat. Trotzdem wäre sie eine tolle Kandidatin für den Vorentscheid, die mit Witz und ihrer Ausstrahlung sicherlich auch punkten würde.
Ebenfalls dabei ist Betül, die zwar eine wirklich tolle Stimme hat, aber deren Song im Vergleich zu den Haupt-Acts schon deutlich schwächer ist. Ehrlich gesagt denke ich nicht, dass sie eine Chance gegen Ikke und Leslie haben wird.
Anders siehts für From Fall To Spring aus, die mit „Draw The Line“ den besten Beitrag des TikTok-Votings ins Rennen schicken. Hier überzeugt mich alles. Mein einziger Kritikpunkt: Wenn sie es von Saarbrücken nach Köln schaffen, werden sie Lord of the Lost sicherlich Stimmen kosten und das gefällt mir nicht!
Neben der wirklich tollen Band und einer wirklich tollen Leslie ist Jona mit „10/10“ mein dritter Favorit des Votings. Da er schon vor einigen Tagen als absoluter TikTok-Hit durch die Medien geisterte, lässt er mich hoffen, dass wir ihn statt Ikke in Köln sehen werden. Der Song ist meiner Meinung nach noch nicht ganz ausgefeilt, noch nicht ganz rund, aber er brächte definitiv eine weitere Farbe mit in den Vorentscheid.
Der letzte Act im Voting sind drei Jungs namens Mitchy & André Katawazi, NASHUP, die zwar ein ganz witziges Video gedreht haben und dabei wirklich sympathisch wirken, mich dabei aber leider zu sehr an Jendrik erinnern. Insgesamt ganz nett, aber nicht ansatzweise so stark, wie alle anderen Acts.
Unterm Strich hätte es meiner Meinung nach den TikTok Kram nicht gebraucht. Ich hoffe, dass der Sieger-Act unter den Direktteilnehmenden zu finden ist und da muss ich wirklich sagen: Hier würde ich mich von jedem Beitrag gut vertreten fühlen.