Gestern zeigte Pro7 die zweite Ausgabe des FreeESC und es war gar nicht mal so leicht, es in Gänze zu ertragen.
Angefangen beim Konzept, das so albern ist, dass man es kaum ernst nehmen kann. Stefan Raab versucht uns eine europäische Show vorzugaukeln, die es aber in keiner Weise ist. Nur weil der Großonkel der Urgroßoma für zwei Wochen im Land XY war, befähigt das einen noch nicht dazu, dieses Land als Heimatland zu vertreten. Den Bezug so herzuleiten und dann so zu tun, als sei man der ideale Repräsentant des Landes, ist einfach peinlich.
Blümchen vertritt nicht Kroatien, weil sie ach so kroatisch ist, sondern weil sie 1. Zeit hatte, 2. eine neue Single herausgebracht hat und 3. vermutlich vergleichsweise wenig Gage verlangt.
Ebenso peinlich ist die Punktevergabe. Da natürlich keiner außerhalb des deutschsprachigen Europas Pro7 guckt (so viel zur Internationalität), werden die Länderpunkte von Juroren vergeben. Hierbei handelt es sich nicht um eine Fachjury sondern um vermeintlich prominente Persönlichkeiten der jeweiligen Länder. Und es handelt sich auch nicht um eine x-köpfige Jury, nein! Das sind Einzelmeinungen. So kam es dazu, dass Freunde mit hohen Punktzahlen bedacht wurden oder Spaßwertungen erfolgten.
Die einzigen Punkte die Relevanz hatten sind die Televoting-Wertungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Ebenfalls misslungen war die Moderation. Also Conchita kann vieles, aber nicht moderieren und Steven soll ein Vollprofi sein, der die A-Promis am roten Teppich der Oscars interviewt? Oh je oh je, dann will ich nicht wissen, was diese Promis von Deutschland denken.
Die Postkarten der jeweiligen Länder hätte ich als pubertierender Teenager sicher witzig gefunden, aber die Zeiten, in denen ich lachend vorm TV sitze, wenn einer „Pimmel“ sagt, sind lange vorbei. Das war einfach nur niveaulos.
Aber es ist ja in erster Linie eine Musikshow und die Beiträge waren… Naja.
Die Musikacts waren meiner Meinung nach der einzige wirklich ESC Bezug. Denn auch beim Free ESC wurden die Länder entweder von unbekannten Nachwuchskünstler:innen vertreten oder von Acts deren Karriere nicht erst seit gestern beendet ist. Natürlich dürfen Casting-Stars nicht fehlen. Und wie beim ESC waren diese gar nicht mal so schlecht.
Musikalisch war es ein sehr schmaler Grad zwischen „großartig“ und „bitte was?!“. Blümchens Text wurde sicherlich von einer Grundschulklasse verfasst. „Ein Herz aus Gold habe ich gewollt, Gold, Gold!“ Oh, das hat sich gereimt und was sich reimt ist immer gut! Das wusste schon Pumuckl!
Aber ich will die Künstler:innen jetzt gar nicht zu sehr kritisieren und stattdessen lieber an dieser Stelle die wenigen positiven Momente hervorheben.
Highlight Nummer 1)
Als ESC Fan freute ich mich natürlich auf Ben Dolic. Er präsentierte seine neue Single. Die Inszenierung war super. Sie war zwar schlicht, aber durch das Bühnenoutfit und die Gestaltung des Hintergrundes sowie durch die Farbwahl, entstand zu Beginn des Auftritts ein Bühnenbild, das sein CD-Cover darstellte. Die Idee fand ich ganz interessant.
Highlight Nummer 2)
Eko Fresh. Er dominierte nicht nur den Interval-Act, den er mit den Prinzen und einem Rapper-Kollegen bestritt, sondern er vergab auch noch mehr als unterhaltsam die Punkte für die Türkei. Mit Eko gab es wenigstens einen kurzen Moment der Ehrlichkeit, der uns nicht vormachen wollte, dass wir es hier mit einer ernstzunehmenden Show zu tun haben.
Highlight Nummer 3)
Mit Abstand der wichtigste und beste Moment des Abends bot Elif. Ihr Song „Alles Helal“ war nicht nur stark, sondern hatte eine wichtige und großartige Botschaft. Sie kritisiert die Unterdrückung von Frauen und LGBTIQ-Menschen in dem Heimatland ihrer Eltern. Dies sang sie dann auch u.a. auf Türkisch. Ihre Wetlook-Frisur und das Latexoutfit waren sexy. Das Makeup suggerierte ein blaues Auge und eine Platzwunde an der Augenbraue. Hiermit setzte Elif auch optisch ein Zeichen!
Dass das von einer Sylvie Meis nicht verstanden wird, wundert mich nicht. Aber schön, dass die DACH-Länder fleißig für Elif angerufen haben, sodass sie am Ende dann doch noch weiter vorne landete.
Das der Sieg dann an den populären Sänger aus Irland ging, dessen Lied (anders als bei der Konkurrenz) schon länger im Radio gespielt wird, verwundert dann auch weniger.
Das Ergebnis im Überblick:
- Irland: Rea Garvey „The One“ (116 Punkte)
- Niederlande: Danny Vera „Roller Coaster“ (94 Punkte)
- Belgien: Milow „ASAP“ (77 Punkte)
- Schottland: Amy Macdonald „Statues“ (77 Punkte)
- Deutschland: Helge Schneider „Supergeiler Helge Schneider“ (69 Punkte)
- Türkei: Elif „Alles Helal“ (68 Punkte)
- Österreich: Mathea „Tut mir nicht leid“ (67 Punkte)
- Frankreich: HUGEL „VIP feat. BLOODLINE“ (65 Punkte)
- England: Mighty Oaks „Mexico“ (60 Punkte)
- Spanien: Juan Daniél „Corazón“ (52 Punkte)
- Italien: Mandy Capristo „13 Schritte“ (41 Punkte)
- Schweiz: Seven „Unser kleines Wunder“ (40 Punkte)
- Polen: Fantasy „Wild Boys“ (34 Punkte)
- Slowenien: Ben Dolic „Stuck In My Mind“ (27 Punkte)
- Griechenland: Sotiria „Herz“ (23 Punkte)
- Kroatien: Jasmin Wagner „Gold“ (18 Punkte)
In meinen Augen und Ohren war das ganz nette Samstagsabendunterhaltung, die nicht aufgeregt hat, aber auch nicht längerfristig in Erinnerung bleibt. Auch der deutsche Beitrag war etwas ermüdend, nachdem das im letzten Jahr mit Helge schon ein kleines Highlight war. Bin mal gespannt, ob „Die Zeit“ wieder über den FreeESC schreibt und einzig Helge Schneider lobt. Da war ja immerhin genügend Drama und Leidenschaft drin.
Zudem hätte ich fast auf Twitter drum gewettet, dass Udo Lindenberg für Deutschland antritt. In der Werbung (die gar nicht so nervig war, wie gedacht) wurden ja immer mal wieder für die neusten Musikalben der Teilnehmer geworben und da war auch das neuste Album von Udo drin. Dass am Ende aber Helge Schneider einen auf Lindenberg macht, war überraschend.
Zum Sieger: Einer der besseren Auftritte des Abends. Dass „The One“ aber schon Radio- und Chartpräsenz hatte, hat für mich so ein kleines Gschmäckle, wie wir im Südwesten sagen würden.
Die „Postkarten“ vor den Auftritten waren wie schon im letzten Jahr albern, aber was soll man schon von einer Show erwarten, die auf TV Total-Elemente getrimmt ist?
Ich kann es nicht oft genug betonen: Ich danke Stefan Raab für all es, was er für Deutschland beim ESC geleistet hat. Aber er sollte sich das Ganze mit dem FreeESC nochmal überlegen. Die Quoten gehen jetzt schon im zweiten Jahr zurück. Würde die Show zumindest nicht vermissen, aber warten wir mal ab.
definitely agree. this was such a hot mess. elif not making into the top 3 is hilarious. if only there was an actual televoting, then we’d see even better results for the countries.