Das Melfest ist nicht mehr das was es mal war, weil es bleibt, was es war! Klingt erst mal verwirrend, ist aber leider so. Schweden galt lange Zeit als die Vorentscheids-Nation schlechthin, kaum ein Land zelebrierte den Auswahlprozess zum ESC so sehr wie Schweden. Lediglich Italien wäre hier noch zu nennen, aber da das Sanremo Festival strenggenommen nicht der Vorentscheid zum ESC ist, bleibt nur noch Schweden. Vorrunden, zweite Chance Show, großes Finale. Zuschauer aus ganz Europa, Interval-Acts die besser sind als die meisten Beiträge der Konkurrenz. Witz, Freude und Euphorie, das ist der schwedische Vorentscheid und bei all der Kritik der letzten Wochen sollte man das auch nicht vergessen. Aber leider schafft es Schweden nun nicht mehr, sich selbst zu übertreffen. Alles war so schon mal da, wirkt langweilig und unkreativ.
Schweden legte sich die Latte zu hoch
Schweden legte sich in den vergangenen Jahren die Latte zu hoch und schafft es leider nun nur noch gekonnt darunter durchzutanzen. Leider kam dieses Jahr noch erschwerend hinzu, dass das Livepublikum fehlte und die Macher des Melfest, anders als z.B. die Dänen, es nicht schafften, eine gelöste Atmosphäre auch ohne Publikum zu kreieren. In Schweden fehlten die Zuschauer wirklich.
Während Schweden auf der Stelle tritt, wird das Land von sämtlichen Konkurrenten überholt. Neben dem bereits erwähnten Sanremo Festival zelebrieren nun auch die Norweger im zweiten Jahr ihren Vorentscheid in zahlreichen Runden. Nun kam auch nach schwedischem Modell eine zweite Chance hinzu und gerade, weil diese Show etwas unbeholfen und unperfekt daherkam, hatte sie so viel mehr Charme, als alle Melfest-Runden zusammen.
Schweden ist und bleibt toll, keine Frage, aber Perfektion kann auch langweilig werden. Wenn alles gleich, alles austauschbar ist und der Pullunder des Künstlers das einzige Highlight der Show ist, auf das sich alle stürzen, weil sonst alles wie geleckt daherkommt, dann sollte man dringend am Konzept arbeiten.
Dabei hätte das Finale deutlich stärker sein können, denn eine Perle blieb auf der Strecke. Viel mehr sind es zwei Perlen. Eva und Ewa, zwei ältere Damen, die die Bühne wie in einem Musical bespielten. Mit Witz, Charme und Attitüde sangen sich die beiden in mein Herz. Der Tanz und die Mimik der beiden Sängerinnen sorgten dafür, dass ich drei Minuten grinsend vorm TV saß. Ein absolutes Highlight des schwedischen Vorentscheids.
Auch The Mamas waren dieses Jahr wieder im Rennen, haben aber leider keinen Song präsentiert, der auch nur ansatzweise an ihren Siegersong von 2020 heranreichen konnte. Performance, Ausstrahlung und Stimmen waren wieder fantastisch, aber auch hier schlug das Schwedenproblem zu: Irgendwie war hier alles beim Alten und das reicht leider nicht aus.
Versöhnlicher Sieger
Dennoch bin ich mit dem Ausgang des Melfests sehr zufrieden. Mit dem 19 jährigen Sänger Tusse und seinem Song „Voices“ hat der spannendste Beitrag der Finalteilnehmer:innen gewonnen. Das Lied ist wirklich gut und hat eine tolle Energie. Die Bridge gefällt mir besonders gut, wenn Tusses Stimme in der Höhe leicht ins Schiefe ausbricht. Dieser besondere Touch in der Stimme mag ich sehr. Auch der Refrain hat einen tollen Aufbau, der durch die langgezogenen Töne und der anschließenden Wiederholung des Titels ins Ohr geht. Aber noch viel besser als das Lied ist Tusse. Ein junger Künstler, dem man bei jedem Auftritt die Aufregung, aber auch die Liebe zur Musik, die Freude und Euphorie ansehen konnte. Wenn stellenweise die Stimme übers Ziel hinausschießt, ist es gar nicht schlimme, denn man merkt, das war ein Fehltritt im Eifer des Gefechts. Diese Frische und Freude ist das, was dem Melfest fehlte. Erschreckend ist nur die Tatsache, dass Tusses Probe das Back-UP-Video für den ESC sein wird, d.h. also, dass das Staging nicht mehr großartig geändert wird. Da verliert sich der moderne Touch leider ein wenig. Das Outfit und die Inszenierung hätte ich nochmal überdacht.
Wer ist Tusse?
Tousin Chiza, wie Tusse mit bürgerlichem Namen heißt, ist der Sieger der 15. Staffel von Idol (Anm.: hier DSDS), an der er 2019 teilnahm. Der in der Demokratischen Republik Kongo geborene Musiker floh mit gerade einmal fünf Jahren, ohne seine Eltern nach Schweden, wo er bei einer Familie in Kullsbjörken aufwuchs. Obwohl viele ESC Stars und Sternchen beim Vorentscheid dabei waren, konnte er alle von sich überzeugen. Dabei war seine Teilnahme gar nicht so sicher. Wegen Prüfungen wollte er kurzfristig absagen und an Proben konnte er nicht teilnehmen, da er seine Fahrprüfung hatte. Schön zu sehen, dass er das Ganze nebenher meistern konnte und trotzdem seine neue Heimat beim ESC 2021 vertreten darf.
Ich finde Tusse großartig! Seht ihr das auch so? Lasst es mich wissen, hier in den Kommentaren oder über meine sozialen Netzwerke.